Liebe Balilla-Freunde,

mit dieser Anrede will ich es bewenden lassen, sie gilt selbstverständlich für Balilla-Freunde jeglichen Geschlechts. Und Anwesende hohe und höchste Herrschaften werden nicht gesondert aufgeführt, weil es über die ehrenvolle Anrede Balilla-Freund hinaus keine Auszeichnung geben kann.

Wir feiern den Geburtstag eines feschen und frechen, zwar kleinen aber feinen und vor allem unerhört symphatischen Italieners, den sie Balilla nannten, obwohl er doch als 508 geboren wurde. Das war vor sechzig Jahren.

Balilla - das geht uns Deutschen über die Zunge wie Calamaris, Pininfarina und Grande Amore. Welch eine Sprache! Welch ein Land! Welch ein Automobil!

Es lässt unsere Herzen heute noch höher schlagen, so, wie die Herzen der Italiener damals, als seine Geburt verkündet wurde.

Wir könnten das grob und oberflächlich mit dem Erscheinen unseres VOLKSWAGENS vergleichen, aber doch nur insofern, als beide Ereignisse eine Nation bewegten. Mit dem Volkswagen vergleichbar ist er aber nicht, es sei denn, dass wir die Tatsache meinen, dass beide, wie in den 30er Jahren bei volksnahen Automobilen üblich, und zwar in ganz Europa, sogenannte Einliter-Wagen waren. Die Amerikaner machten aus diesem Hubraum bestenfalls ein Motorrad, wir Europäer aber nahmen von dieser Hubraumgrösse an das Automobil so richtig ernst.

Bei uns war es zunächst der Opel, berühmt geworden als Typ P 4, der zu Balillas Geburt noch ein 1.2 Liter-Wagen war, womit er aber noch immer zur erwähnten Volksklasse zählte, die man sich möglicherweise leisten konnte, vorausgesetzt, man ehelichte eine Metzgerstochter, oder Tante Freda starb rechtzeitig, oder man wurde zum Oberinspektor befördert. Das Geld war so knapp, wie wir uns das heute gar nicht mehr vorstellen können, und es war keinesfalls selbstverständlich, dass man sein eigenes Lenkrad in der Hand hielt. Eine Lenkstange schon eher. Und weil es so war, sind die Einliterwagen echte Traumwagen gewesen.

Ich bin alt genug, um sagen zu können, dass ich damals, als die ersten Fotos des Balilla durch die Presse gingen, schon mitjubeln konnte. Seine Feinheiten, die ihn für unser Auge als so besonders attraktiv und typisch italienisch erscheinen liessen, lassen sich heute für den Nicht-Zeitgenossen kaum herausarbeiten. Wir hatten damals ganz andere Maßstäbe im Blut, nach denen wir eine automobile Neuerscheinung bewerteten. Wir waren noch von den Autos der 20er Jahre umgeben, die unser Verständnis formten, und da war der Balilla nun mal schon von seinem Äusseren her ein echtes Sahnestückchen.

Proportionen und Linienführung, die ihm anzusehende Leichtfüssigkeit, der ihm vorauseilende Ruf seines Jubelmotörchens und seine technischen Gaben, zu denen das hydraulische Bremssystem gehörte, all das bewirkte, dass wir uns in ihn verlieben mussten, sofern wir Benzin im Blut hatten.

Da waren Talente vorhanden und erkennbar, die der kleine Opel nun mal nicht hatte. Das ist keine Nestbeschmutzung. Ich besitze natürlich auch einen P 4 und einen 4/20er Opel, der das geliebte Auto meiner Kindheit war, aber in meinen Balilla-Spider bin ich echt verknallt. Das ist der Unterschied.

Es hat nicht nur mit subjektivem Empfinden zu tun, sondern das beruht vor allem auf der Würdigung seines Charakters, seiner Fahrkünste, die er mir immer wieder beweist, wenn ich ihn mal Gassi führe. Wie er da die Berge hinaufjubelt und die Kurven schneidet, wie er sprintet und jubelt, das ist so unvergleichbar wie damals leider sein Preis. Ja, er war gemein teuer.

Als er 1934 endlich zu uns kam - er hatte da schon das Vierganggetriebe und die auf 24 PS gesteigerte Motorleistung kostete er nicht 1.800 Mark wie der Opel 1.2, sondern 2.600 Mark, also noch 100 Mark mehr als der ein Jahr später erscheinende Opel Olympia. Und das in einer Zeit, als der Normalverdiener mit 250 Mark im Monat zufrieden sein musste.

Ihn kauften dann eben die Kenner, denen es nicht nur darauf ankam, dass vier Personen hineinpassten, wie in den Opel.

Sein gesamtes Handling machte ihn zum sportlihen Wagen, damals, als sich solche Autos noch gern dem Fahrer widersetzten. Und dann bewies er, dass er das Zeug zum echten Sportwagen hatte, indem er sich mühelos in den rassigen Coppa d'Oro verwandeln liess. Von dem träumte ich als Knabe und noch heute, wenn ich mir beim Einschlafen vornehme, an etwas Schönes zu denken.
Wir gerieten damals in einen Taumel der Begeisterung, als im Sommer 1934 während der 2000 km-Deutschlandfahrt das Feld der Balilla-Sport mit Stunden Vorsprung vor allen anderen Klassen im Ziel einlief.

Da ging uns der Knopf auf, dass Fiat ganz beachtliche kleine Autos bauen konnte. Und das hatten wir nach dem Krieg nicht -vergessen, als der Millecento kam, aber auch, als wir den Topolino und den 600 kaufen konnten, sofern wir schon so viel Geld übrig hatten. Schon in den 30er Jahren, ich weiss das genau, gab es in Deutschland eine eingeschworene Fiat-Gemeinde, von denen nur wenige auch wirklich einen Fiat besassen. Damals war man bereit, sich am Stammtisch für eine Marke den Schädel einschlagen zu lassen, die man nur von Ferne verehrte. Man stieg dann wieder auf sein Motorrad und fuhr nachhause.

Liebe Coppa d'Oro-Besitzer, ich beneide Euch auf jene bewundernde Art, die nichts mit Missgunst zu tun hat. Ihr zählt zu den Sonntagskindern, Ihr habt noch einen abgekriegt. Ich begnüge mich mit meinem Spider, der es mir dankt, indem er wie ein Wiesel läuft und dabei zäh und zuverlässig ist wie ein Haflinger.

Liebe Freunde, mit der minutiösen Historie des Balilla/508 will ich Euch nicht langweilen, Ihr kennt sie alle, und in der uns zur Verfügung gestellten Fest-Mappe können wir sie noch einmal gründlich nachlesen.

Ich wollte viel eher etwas ausgraben, dass uns deutschen Balilla-Freunden noch immer so etwas wie ein Buch mit sieben Siegeln ist: Ich wollte Genaueres wissen über die Herkunft seines Namens, der, so viele Sprachführer man auch zu Rate zieht, scheinbar un-übersetzbar ist.

Man speist uns immer nur damit ab, dass Balilla der Name der faschistischen Jugend-Organisation gewesen sei. Und man wiegt das Haupt und zuckt die Schultern, wenn man uns verraten soll, ob nun Fiat den Namen vom Mussolini-Jungvolk entlehnt hat oder ob der Duce den Namen von Fiat geklaut hat.

Ist er nun ein kleiner Faschist oder nicht?

Ich wurde fündig und kam endlich dahinter, dass es um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, also vor mehr als zweihundertfünfzig Jahren, in Genua einen jugendlichen Rebellen gab, der sich als Anführer Gleichgesinnter den damaligen österreichischen Besatzungstruppen widersetzte. Er und die Seinen bombardierten die ungeliebten Besatzer mit Wurfgeschossen, bevorzugt mit Steinen. Der Molotow-Coctail war noch nicht erfunden.

Und dieser jugendliche Rebell wurde mit Spitznamen Balilla genannt. Er ist so unvergessen, dass man ihm in Milano sogar ein Denkmal errichtet hat. Da steht er mit gespreizten Beinen auf dem Sockel und holt gerade, einen Stein in der Rechten, zum Wurf aus.

Weshalb hat man uns das bisher verschwiegen? Wir sehen in unserem Balilla doch so gern jenen Rebell, der bei seinem Erscheinen im Jahre 1932 einen frischen Wind in die Einliter-Klasse brachte und der die Herzen des autobegeisterten Volkes diesseits und jenseits der Alpen im Sturm eroberte. Das ist er, unser geliebter Kleiner, genau das.

Feiern ihn heute also aus voller Brust, den Fiat Balilla und jenen kleinen Genueser, den sie, weshalb auch immer, Balilla nannten.

Nun hat das Ganze einen Sinn und man kann nur fragen, wie wir das heute so oft tun beim Anhören neuer Kunstworte, die man als Typenbezeichnung wählt, fragen also: Weshalb geriet dieser wunderbare und dazu noch so beziehungsreiche Name Balilla im Hause Fiat in Vergessenheit? Oder andersherum: Wann kommt ein neuer Balilla?

Ein junger Rebell, der vielleicht endlich mal einen Stein in den Windkanal wirft?

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